Montag, 25. Mai 2015

Das kollegiale Verhältnis zwischen Hans Ludendorff und Albert Einstein

- Über zwei Jahrzehnte hinweg (1914 bis 1933)

Einleitung / Zusammenfassung

Auf die erste Seite ihres Buches „Siegeszug der Physik – Ein Triumph der Gotterkenntnis meiner Werke“ setzte die naturwissenschaftnah argumentierende Philosophin Mathilde Ludendorff (1877-1966) (Wiki) die Worte:

Dem Andenken an den Astrophysiker
Professor Hans Ludendorff
am Tage seines Todes 26.6.1941
gewidmet.

Bei diesem Astronomen Hans Ludendorff (1873-1941) (Wiki)1 handelte es sich um ihren Schwager, um den jüngeren Bruder des Generals Erich Ludendorff (1865-1937). Sie und ihr Schwager waren sich am 21. Mai 1939 anläßlich der Einweihung einer Büste Erich Ludendorffs im Feldherrnsaal des Zeughauses in Berlin durch den damaligen deutschen Generalstabschef Franz Halder begegnet, vielleicht zum letzten mal2.

Abb. 1: Hans Ludendorff (1873-1941) (AIP)

Trotz dieser Widmung gewinnt man als Leser den Eindruck, als ob sich Mathilde Ludendorff - ebenso wie ihr Ehemann Erich Ludendorff - der Bedeutung, die Hans Ludendorff im wissenschaftlichen Leben seiner Zeit eingenommen hatte, gar nicht in vollem Umfang bewußt gewesen waren. Tatsächlich ist diese Bedeutung auch noch nicht einmal in deutschsprachigen Gedenkartikeln hervorgehoben worden, die 1941 und 1942 aus Anlaß des Todes von Hans Ludendorff erschienen sind.

Das ist vor allem dem Umstand geschuldet, daß der bedeutendste langjährige wissenschaftliche Kollege von Hans Ludendorff in Berlin und Potsdam in den 1920er Jahren kein geringerer war als Albert Einstein (1879-1955), der Begründer der Relativitätstheorie. Da Albert Einstein zwischen 1933 und 1945 in Deutschland zutiefst verfemt war, wurde in Gedenkartikeln auf Hans Ludendorff an seine enge Zusammenarbeit mit Albert Einstein denn auch mit keinem einzigen Wort erinnert. Dieser Umstand wirkte so sehr nach, daß diese Zusammenarbeit noch 1987 in einem Artikel über Hans Ludendorff in der "Neuen Deutschen Biographie" nicht Erwähnung gefunden hat (15). Sie war auch bis zur Intervention des Autors dieser Zeilen im Jahr 2015 nicht auf dem Wikipedia-Artikel zu Hans Ludendorff erwähnt worden. Auf dem englischsprachigen hat sie sogar zum Jahr 2022 nicht Erwähnung gefunden. Viel Anlaß also, daß in dem vorliegenden Aufsatz einmal im Jahr 2015 das zusammen getragen worden war, was bis dahin - mit Hilfe von Internetrecherche - über diese Zusammenarbeit hat zusammen getragen werden können. (Bei Neuveröffentlichung am 23.7.2022 wurde das folgende leicht überarbeitet.)

Der Astronom Hans Ludendorff ist im Jahr 1921 zum Leiter des Astronomischen Observatoriums Potsdam ernannt worden. Er hat damit eine Stelle eingenommen, die zuvor der ihm gleichaltrige, berühmte deutsche Astronom und Astrophysiker Karl Schwarzschild (1873-1916) innegehabt hatte. Der schon mit 43 Jahren verstorbene, geniale Karl Schwarzschild hatte zu den ersten Wissenschaftlern weltweit gehört, die begonnen hatten, die Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins auf theoretischem Gebiet ernst zu nehmen und weiter auszuarbeiten. Unter anderem wird nach ihm jener bedeutende "Schwarschild-Radius" benannt, der einen ersten Schritt darstellte zum Verständnis des astrophysikalischen Phänomens der Schwarzer Löcher.

Nach seinem allzu frühen Tod infolge seines Kriegseinsatzes ist Schwarzschild durchgängig von seinen Kollegen als "unersetzbar" erachtet worden. Es ist aufgrund seiner herausragenden Bedeutung daran gedacht worden, daß theoretische Physiker wie Albert Einstein oder Max von Laue seine Nachfolge als Leiter des Astronomischen Observatoriums in Potsdam antreten sollten. Niemand von ihnen verfügte jedoch zugleich über jene notwendige praktische Ausbildung und Berufserfahrung im Bereich der traditionellen Astronomie, wie sie Karl Schwarzschild zugleich mit einer Begabung für Theoretische Physik in einer Person verbunden hatte. Und auf Seiten der traditionell arbeitenden Astronomen gab es sonst niemanden, der astronomische Berufserfahrung in ähnlicher Weise wie Schwarzschild mit Begabung auf dem Gebiet der Theoretischen Physik verband. Deshalb entschied man sich im Jahr 1916 für den Astronomen Erwin Müller und 1921 für dessen engen Mitarbeiter, den Astronomen Hans Ludendorff, als Nachfolger, obwohl die theoretischen Physiker jedes mal gerne einen der ihren auf diesen Posten gebracht hätten. 

Hans Ludendorff hat nicht nur 1921 an Stelle von Albert Einstein die Leitung des Astronomischen Observatoriums Potsdam übernommen. 1923 hat er in ähnlicher Konstellation auch die Leitung jener wissenschaftlichen Expedition übernommen, zu der die mexikanische Regierung eigentlich Albert Einstein eingeladen hatte, für die Einstein selbst dann aber Hans Ludendorff als seinen Ersatz vorgeschlagen hat. Auf diese Expedition ging dann das lebenslange Interesse von Hans Ludendorff an den astronomischen Kenntnissen der Hochkultur der Maya zurück.

Schon in diesen wenigen Tatsachen deutet sich das enge persönliche und kollegiale Verhältnis an, das zwischen Hans Ludendorff und Albert Einstein zwischen 1914 und 1933 bestand. Hans Ludendorff atmete aber auch keineswegs auf, als Albert Einstein 1933 Deutschland verlassen mußte. Vielmehr bestellte er noch 1934 bei der Firma Zeiss in Jena Geräte zur empirischen Überprüfung der Einstein'schen Relativitätstheorie. Hans Ludendorff ließ sich also seine wissenschaftliche Tätigkeit nicht vom „Zeitgeist“ bestimmen.

Hans Ludendorff also gehörte zu jenem überschaubaren Kreis der Berliner Wissenschafts-Elite, die sich seit 1914 rund um Albert Einstein gruppiert hat. Dabei war er gerne bereit einzugestehen, daß er dabei der wissenschaftlich vermutlich noch am wenigsten innovative war. Das wurde von ihm selbst ebenso wie von seinen Kollegen so gesehen. Dennoch hat er die Entwicklung der theoretischen Physik in Deutschland in jenen Jahren, die zugleich die weltweit führende überhaupt war, aus einer persönlichen Nähe miterlebt und mitgestaltet, wie dies in jener Zeit nur wenigen wird vergönnt gewesen sein. Würde ein Hans Ludendorff über sein Leben Erinnerungen hinterlassen haben, müßten sie spannend zu lesen sein. Die vorliegende Abhandlung soll einen ersten Eindruck von den Inhalten solcher möglicher Erinnerungen geben.

Hans Ludendorff stand in mindestens alljährlichem persönlichen Zusammenwirken mit Albert Einstein, sei es, weil sie beide Kuratoren oder Mitglieder derselben wissenschaftlichen Stiftungen waren, die der empirischen Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins dienten, sei es weil schließlich auch Hans Ludendorff in mindestens zwei wissenschaftlichen Aufsätzen mit der Auswertung der Daten zur Überprüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie befaßt gewesen ist. Wobei zumindest der erstere der beiden Aufsätze Ludendorffs (von 1915) auch das Interesse von Albert Einstein weckte.

Angesichts all dieser Umstände ist es denn auch leicht zu verstehen, daß Hans Ludendorff keineswegs den Anti-Einstein-Propagandisten der sogenannten „Deutschen Physik“ auf den Leim gegangen ist. Er hat das Einfließen-Lassen außerwissenschaftlicher Motive - wie das des Antisemitismus und des völkischen Denkens - in die innerwissenschaftlichen Debatten - ganz wie auch seine Kollegen Max Planck, Arnold Sommerfeld oder Werner Heisenberg - abgelehnt, vermutlich sogar ähnlich angeekelt wie Werner Heisenberg3.

Zu sagen ist allerdings auch, daß für Hans Ludendorff seine Tätigkeit als Leiter des Observatoriums in Potsdam bis 1933 überschattet war von einem tiefgehenden, dauernden, und offenbar mehr im Persönlichen als im Sachlichen wurzelnden „Kleinkrieg“ seiner selbst mit jenem ihm unterstellten Astrophysiker Erwin Freundlich (1885-1965) (Wiki), dem Leiter des Einstein-Instituts im Einstein-Turm auf dem Potsdamer Telegrafenberg, der als persönlichster Schüler und Assistent Einsteins in diese Position gelangt war, der als der treueste und eifrigste damalige deutsche „Gefolgsmann“ Albert Einsteins auf dem Gebiet der astronomischen Wissenschaft galt. 

Die Wissenschaftshistoriker weisen aber darauf hin, daß Hans Ludendorff bei weitem nicht der einzige gewesen ist, der in schwere persönliche Auseinandersetzungen mit diesem wohl sehr eigenwilligen Erwin Freundlich geraten ist, daß Albert Einstein selbst sehr früh den Kontakt zu Freundlich ganz abgebrochen hat, weshalb sich die Wissenschaftshistoriker heute auch keineswegs mehr sicher sind, ob die persönliche Gegnerschaft von Hans Ludendorff gegenüber Erwin Freundlich wirklich verbunden gewesen sein könnte mit einer vornehmlich im außerwissenschaftlichen Bereich wurzelnden Skepsis oder Ablehnung der Relativitätstheorie überhaupt. 

Letzteres ist mitunter in der Literatur vermutet worden, womöglich aber auch nur aus der Tatsache abgeleitet worden, daß Hans Ludendorff eben der Bruder von Erich Ludendorff war, von dem man sich offenbar leicht vorstellen konnte, daß ihm die Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Beweggründen schwer fallen könne (was, soweit übersehbar, ebenfalls nicht der Fall war).

Abb.: Albert Einstein und Hans Ludendorff auf dem Astronomentag auf dem Telegrafenberg in Potsdam, August 1921

Es gibt jedoch bis auf weiteres keinen Hinweis, daß sich Erich und Mathilde Ludendorff jemals zu Lebzeiten von Hans Ludendorff über die moderne theoretische Physik, über sein Verhältnis zu Albert Einstein oder auch über seinen „Kleinkrieg“ mit Erwin Freundlich ausführlicher hätten unterrichten lassen. Mathilde Ludendorff sagte selbst, daß sie bis Anfang der 1940er Jahre nie Zeit gefunden hätte, sich mit solchen wissenschaftlichen Themen gründlicher zu befassen. 

Und noch ihre im Spätherbst 1940 verfaßte und Anfang 1941 erschienene Schrift „Ein Blick in die Naturwissenschaft unserer Tage“ erweckt den Eindruck, als ob sie es auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Absicht hatte, das künftig in umfangreicherer Weise zu tun. Erst nach Verfassen dieser Schrift - also irgendwann im Winter 1940/41 - scheint sich das Interesse Mathilde Ludendorffs diesem Thema so grundlegend zugewandt zu haben, daß daraus - innerhalb weniger Monate - das Buch „Siegeszug der Physik“ hervorging.

Und da Hans Ludendorff in dieser Zeit schon schwer erkrankt war, wird auch ein gewisses Bedauern in den zitierten Worten ihrer Widmung darüber mitschwingen, daß sie sich aufgrund des Todes von Hans Ludendorff nicht mehr mit ihm über die Inhalte ihres Buches hat unterhalten und austauschen können.

Wenn allerdings Arnold Sommerfeld (1868-1951) schon kurz nach Erscheinen des Buches „Siegeszug der Physik“ sich mit einem anerkennenden Brief an Mathilde Ludendorff wandte, wie diese berichtete, so könnte dies auch daran liegen, daß ihr Verfassername an den allen Physikern bekannten des gerade erst verstorbenen Hans Ludendorff erinnerte und allein schon aufgrund dieses Umstandes Interesse und Vertrauen bei einem Menschen wie Arnold Sommerfeld geweckt haben könnte. Soweit zunächst eine Zusammenfassung der folgenden Ausführungen. Nun sei mehr auf die Details eingegangen.

Zunächst einiges zum familiären Leben von Hans Ludendorff. Geboren wurde er in Thunow auf einem Gutshof, zwölf Kilometer südwestlich von Köslin in Pommern. Er war später mit Käthe Ludendorff, geb. Schallehn, verheiratet (geb. 1881). Sie scheinen drei Kinder gehabt zu haben:

  • Am 6. Juli 1908 wurde ihr Sohn Hans-Joachim Ludendorff (1908-2006) geboren (Geni), der bis 2006 lebte, der nach 1945 den Biographen von Erich Ludendorff manche Auskünfte gegeben hat und der auch selbst Lebenserinnerungen hinterlassen hat, die womöglich noch einmal eingesehen und ausgewertet werden sollten, auch zum Leben seines Vaters Hans Ludendorff.
  • Eine Tochter von Hans Ludendorff hieß Margarethe (womöglich benannt nach der ersten Ehefrau von Erich Ludendorff, die ja auch Margarethe hieß, und die dieser 1908 heiratete?) Sie trug auch den Spitznamen Deti. Sie heiratete später den Reichswehroffizier Artur von Casimir (1908-2005) (Wiki), der 1939 und 1940 Oberst und Bomberpilot war, aber schon am 30. Mai 1940 durch Abschuß in englische Kriegsgefangenschaft geriet. Aus dieser wurde er erst 1948 entlassen. 1955 trat er in die Bundeswehr ein, in der er bis 1966 Dienst tat, zum Schluß als Militärattache in Ankara (Dldjl). (Das Wissen um diesen Schwiegersohn wird weiter unten noch eine bislang ungeklärte Briefstelle klären können, siehe ganz unten.)
  • Ein weiterer Sohn scheint Erich geheißen zu haben.

1911/15 - Die Allgemeine Relativitätstheorie und ihre empirische Überprüfung

Albert Einstein veröffentlichte 1905 als unbekannter Schweizer Beamter die Spezielle Relativitätstheorie und wurde von Max Planck entdeckt, der sich zusammen mit Arnold Sommerfeld außerordentlich begeistert über sie äußerte. Beide stuften sie sehr bald als eine „Kopernikanische Tat“ ein. Geradezu noch mit einer größeren Begeisterung als man sie aus Einsteins Mund selbst je gehört hätte (vgl. etwa die Einstein-Biographie von Armin Hermann). Nachdem gerade in den Kreisen der deutschsprachigen Wissenschaft die Bedeutung von Einstein erkannt worden war, erhielt Einstein zunächst einen Ruf an die Universität Zürich, dann an die Universität Prag und schließlich an die Universität Berlin. Seit 1907 arbeitete er an der Allgemeinen Relativitätstheorie und tauschte sich darüber mit Kollegen und Studenten aus, darunter mit Karl Schwarzschild in Potsdam und mit Erwin Freundlich, die sich beide auch früh Gedanken zur empirischen Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie machten. In einer Untersuchung von 1994 heißt es einleitend4:

Zeitgenössische Physiker standen Einsteins Spezieller und Allgemeiner Relativitätstheorie äußerst skeptisch gegenüber. Noch bevor die allgemeine Relativitätstheorie durch Messung (Periheldrehung von Planeten, Ablenkung von Lichtstrahlen) bestätigt war, griffen Mathematiker die Erkenntnisse begeistert auf. Im folgenden wird gezeigt, warum Mathematiker den Ideen eher zu folgen vermochten.

Über die Allgemeine Relativitätstheorie heißt es auf Wikipedia5:

Zur Zeit ihrer Einführung im Jahre 1915, hatte die Allgemeine Relativitätstheorie keine solide empirische Grundlage. Sie war ursprünglich vielmehr aus philosophischen Gründen sehr befriedigend, da sie das Äquivalenzprinzip erfüllte und das Newtonsche Gravitationsgesetz und die spezielle Relativitätstheorie als Grenzfälle beinhaltete. In experimenteller Hinsicht war lediglich bekannt, daß sie die „anomale“ Perihelbewegung des Merkur erklären kann, und 1919 wurde nachgewiesen, daß Licht im Gravitationsfeld entsprechend der Allgemeinen Relativitätstheorie abgelenkt wird.

Die Schwierigkeiten der empirischen Überprüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie wurden zu Anfang von allen damit befaßten Physikern unterschätzt, auch von Einstein selbst. Wikipedia berichtet, wie lange die Wissenschaft damit befaßt war:

Es dauerte allerdings bis 1959, daß es möglich war, die Voraussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie im Bereich schwacher Gravitationsfelder zu testen, wodurch mögliche Abweichungen von der Theorie genau bestimmt werden konnten. Erst ab 1974 konnten mit dem Studium von Binärpulsaren sehr viel stärkere Gravitationsfelder erforscht werden, als es sie im Sonnensystem gibt. Schließlich erfolgte die Untersuchung von starken Gravitationsfeldern auch im Zusammenhang mit Schwarzen Löchern und Quasaren. Beobachtungen sind hier naturgemäß sehr schwierig, trotzdem stimmen die Ergebnisse mit den Voraussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie bislang überein.

Doch behalten wir uns für das folgende im Hinterkopf: So weit war man 1915 noch keineswegs. Und für die weitere Lebenszeit von Hans Ludendorff ist eigentlich nur sehr viel zu berichten über Versuche der empirischen Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie und über den Umstand, daß diese zu seinen Lebzeiten alle unbefriedigend geblieben sind. Darauf hat dann auch Hans Ludendorff in zwei gründlichen Arbeiten hingewiesen, jedoch noch 1934 die weitere empirische Überprüfung gefördert.

1914 - Leitung der abgebrochenen Rußland-Expedition

1914 leitete Hans Ludendorff eine wissenschaftliche Expedition, die nach Rußland führte (Grundmann, S. 132):

1914 wurden drei deutsche Expeditionen zur Beobachtung der Sonnenfinsternis nach Rußland geschickt, und zwar von den Sternwarten Berlin, Potsdam und Hamburg. (…) Die offizielle Expedition der Akademie stand unter der Leitung des Astronomen Ludendorff. (…) Da mittlerweile der 1. Weltkrieg ausgebrochen war, konnten die deutschen Expeditionen die Sonnenfinsternis am 21. August 1914 nicht beobachten.

Auf Umwegen und unter zum Teil großen Schwierigkeiten konnten die deutschen Wissenschaftler nach dem Beginn des Krieges nach Deutschland zurückkehren.

1915 hatte Hans Ludendorff am Astrophysikalischen Observatorium eine Auseinandersetzung mit dem engen Mitarbeiter von Karl Schwarzschild, dem dänischen Astrophysiker Ejnar Hertzsprung (1873-1967) (Wiki). Hertzsprung wollte als Däne, obwohl er die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte, eine Einberufung zum Wehrdienst entgehen, wozu ihm Karl Schwarzschild mehrmals half (B. Herrmann, GB2019): 

Die strikt neutrale Haltung von Hertzsprung führte zu scharfen Kontroversen mit (...) Hans Ludendorff, worüber Hertzsprung gegenüber Schwarzschild brieflich sein Herz ausschüttete. Auch Ludendorff wurde einberufen und stichelte gegen Hertzsprung, er wolle sich nicht durch eine Unabkömmlichkeitserklärung drücken, was zu einer heftigen Diskussion zwischen beiden führte. In seinem Brief an Schwarzschild machte Hertzsprung noch einmal seine Haltung klar: "Die kriegerisch-nationalen Fragen sind mir ebenso fremd wie etwa die Unfehlbarkeit des Papstes es mir bei einer Anstellung an der vatikanischen Sternwarte sein würde. Ich habe in diesen Beziehungen nur des freien Denkers Aversion gegen jede Unterdrückung, von welcher Seite auch." Schwarzschilds Ehefrau, Else Schwarzschild (1879-1950), hat sich in dieser Zeit oft und mitunter auch erfolgreich bemüht, die Konflikte zwischen Ludendorff und Hertzsprung einzudämmen. 

Hertzsprung wollte nach dem Tod Schwarzschilds nicht mehr in Potsdam bleiben und ging nach Leiden in den Niederlanden und kehrte am Ende seines Lebens nach Dänemark zurück.

1915/16 - Einstein: „Sehr interessant war mir der Ludendorff'sche Aufsatz“

Der schon erwähnte Astrophysiker Erwin Freundlich (1885-1964)6 hat sich schon sehr früh bemüht, empirische Daten aus dem Bereich der Astronomie zur Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie zusammenzutragen. In der langjährigen Zusammenarbeit mit Einstein bildete er Einsteins wichtigste, aber zugleich auch „schwierige“ Verbindung zu den Astronomen.

In einer tabellarischen Übersicht zu den wissenschaftlichen Unternehmungen Freundlichs bis 1933 heißt es über seine Versuche zum Nachweis der sogenannten „Gravitations-Rotverschiebung (GRV)“ (Hentschel, S. 37):

1915ff.: Statistische Untersuchungen zur GRV bei Fixsternen in Abhängigkeit von ihrer Spektralklasse; beobachtete Rotverschiebungen werden mit geschätzten mittleren Massen und Radien der Fixsterne korreliert. These: GRV vorhanden. Aber: v. Seeliger und Ludendorff weisen Freundlich noch im gleichen Jahr sachliche Fehler und „wishful thinking“ nach. (…) Wiederaufnahme dieser Untersuchungen: 1919, 1922, 1924, 1928, 1930.

Der hier genannte Artikel von Hans Ludendorffs erschien 1915 in den „Astronomischen Nachrichten“7. Albert Einstein konnte ihm viel abgewinnen. Am 13. Februar 1916 schrieb Einstein an Struve (Hentschel, S. 47):

Ich danke Ihnen bestens für die Nummer der Astronomischen Nachrichten (…). Der Seeliger'sche Artikel zeigte mir nichts Neues. Sehr interessant war mir der Ludendorff'sche, aus dem ich ersehe, wie unvollkommen das bisherige Beobachtungsmaterial noch ist. Das Erfreuliche aber ist, daß man den Eindruck gewinnt, daß sich nach und nach Material wird gewinnen lassen, welches eine sichere Entscheidung zulassen wird.
An den Artikel von Ludendorff läßt sich die Frage knüpfen:
Sind schwächere Sterne desselben Spektraltypus durchschnittlich auch von kleinerer Masse? Dies wäre bei Doppelsternen beantwortbar, bei denen man die Größe der Masse mitteln kann. Ergäbe sich eine bedeutende Abhängigkeit, so könnte die Ludendorff'sche Betrachtungsweise in der Zukunft (sich) als sehr wertvoll erweisen. Solange der mittlere Fehler die ermittelte Rotverschiebung übersteigt (…), ist das Resultat ganz unsicher (…).
Jedenfalls sehe ich, daß Freundlichs Ergebnis keineswegs gesichert ist (nicht einmal qualitativ). Dagegen muß man Freundlich zugute halten, daß er zuerst auf einen gangbaren Weg zur Prüfung der Frage aufmerksam gemacht hat.

Nachdem der berühmte US-amerikanische Astronom Edwin Hubble (1889-1953) Mitte der 1920er Jahre mit Hilfe der Rotverschiebung der Nachbargalaxien nachwies, daß wir nicht in einem statischen, sondern expandierenden Universum leben, wurde erkannt, daß der Nachweis einer zusätzlichen Gravitations-Rotverschiebung noch bedeutend schwieriger ist, als es bis dahin angenommen worden war (Hentschel, S. 50). Noch heute heißt es über experimentelle Bestätigungen der Allgemeinen Relativitätstheorie auf Wikipedia sehr zurückhaltend8:

Im Folgenden werden einige physikalische Phänomene erklärt, deren genaue experimentelle Überprüfung bisher die Allgemeine Relativitätstheorie gut bestätigt und den Spielraum für Alternativtheorien sehr verkleinert hat.

1916 war der schon genannte Leiter des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam Karl Schwarzschild (1873-1916)9, gestorben. 

1916 - Karl Schwarzschild stirbt

Schwarzschild hatte zwar eine solide astronomische Ausbildung genossen, galt aber als Theoretischer Physiker und damit als Idealbesetzung für diesen Posten. Er hatte eng mit Albert Einstein zusammen gearbeitet und einerseits die Relativitätstheorie selbst weiterentwickelt. Zum anderen entwickelte er jenes Programm zu ihrer empirischen Überprüfung mit Hilfe von astronomischer Daten und Sachverhalte, das dann ein jüngerer Mitarbeiter Einsteins, Erwin Freundlich, weiterverfolgen sollte.

Die beiden Nachfolger Schwarzschild's in Potsdam - die Astronomen Gustav Müller (bis 1921) und Hans Ludendorff (ab 1921) - sollten keine so große wissenschaftliche Bedeutung haben wie sie Karl Schwarzschild von Seiten der Wissenschaftsgeschichte zugeschrieben wird. Beide aber standen der Relativitätstheorie Einsteins und seiner Person wohlwollend gegenüber. Sie befaßten sich mit der empirischen Überprüfung dieser Theorie durch die Astronomie und förderten diesselbe.

In seinem Nachruf auf Karl Schwarzschild schrieb Hans Ludendorff, daß Schwarzschild einen Charme besessen hätte, dem sich niemand hätte entziehen können (Schwarzschild, Gesammelte Werke, S. 24):

Alle Nachrufe betonten die thematische Breite, die die wissenschaftlichen Arbeit von Karl Schwarzschild aufgewiesen hatte. Sommerfeld sprach von dem Glücksfall, daß hier Fähigkeiten im Bereich der Astronomie, Astrophysik und Physik in einem einzigen Menschen vereinigt gewesen waren. (...) Es wurde regelmäßig erwähnt, daß er nicht gut mit Menschen umgehen konnte, die ihm gegenüber zu viel Respekt zeigten. Alles in allem hatte er, wie Ludendorff sagte, einen Charme, dem sich niemand entziehen konnte.
All the obituaries stressed the breadth of Schwarzschild's scientific work. Sommerfeld spoke of the stroke of good fortune that combined skill in astronomy, astrophysics and physics in one individual. (…) His saying that he could not get on with people who held him in too great a respect, was frequently mentioned. All in all, as Ludendorff said, he had a charm that no one could escape.

1918 - Hochzeit der Tochter Erich Ludendorffs

Am 3. Januar 1918 heiratete die Stieftochter Erich Ludendorffs. Aus diesem Anlaß wurde in den Zeitungen eine Fotografie veröffentlicht, auf dem auch die Ehefrau von Hans Ludendorff einmal zu sehen ist.

Abb. 2: "Hochzeit im Hause Ludendorff am 3. Januar" 1918

Auf der Fotografie steht sie direkt hinter der Braut. Sie wurde bezeichnet als:

Stehend: (...) Fr. Prof. Ludendorff.

Ihr Ehemann hatte an der Hochzeit offenbar nicht teilnehmen können.

1918 - Erich Ludendorff in Potsdam

Um den 9. November 1918 herum lebte Erich Ludendorff für einige Tage in Potsdam bei seinem Bruder Hans. Denn es bestand die Sorge, daß die Anwesenheit seiner Person für seine unmittelbare Umgebung in Berlin eine Gefahr darstellte. Erich Ludendorff ging deshalb für einige Monate nach Schweden.

1919 - Alle Welt redet von Einstein

Wir lesen über die Folgezeit (24):

Am 6. November 1919 gaben britische Astronomen, geführt von Arthur Eddington (...) und Frank Dyson (...) bekannt, daß ihre Beobachtungen der Sonnenfinsternis am 29. Mai auf Principe, einer Insel vor der Westküste Afrikas, sowie in Sobral, einer Stadt im nordöstlichen Brasilien eine Schlüsselvoraussage von Albert Einsteins umstrittener Relativitätstheorie bestätigt hatten. Einstein wurde mit einem Schlag auf beiden Seiten des Atlantik berühmt.
On 6 November 1919, British astronomers - led by Arthur Eddington, the Plumian Professor of Astronomy at the University of  Cambridge, and Frank Dyson, the Astronomer Royal - announced  that their observations of a solar eclipse on 29 May from Principe, an island off the coast of west Africa, and Sobral, a city in northeastern Brazil, had confirmed a key prediction of Albert Einstein’s  controversial theory of relativity. Suddenly, Einstein became famous on both sides of the Atlantic.

1920 - Gründung des Einstein-Instituts und Bau des Einstein-Turms

Nachdem die Astronomen in England mit der Überprüfung von Einsteins Relativitätstheorie schneller vorangekommen waren und Ende November 1919 "spektakuläre" Ergebnisse veröffentlicht hatten, wurde in Deutschland zu einer "Einstein-Spende" aufgerufen, für die eine "Einstein-Stiftung" gegründet wurde, der der Einstein-Schüler und Astronom Erwin Freundlich vorstand. Mit dem von dieser Stiftung gesammelten Geld und den Sachspenden (von Zeiss in Jena etwa) wurde der Bau des "Einstein-Turmes" auf dem Gelände des "Astrophysikalischen Observatoriums" in Potsdam finanziert. Planungen zu diesem Turm machte der mit Erwin Freundlich befreundete junge Architekt Erich Mendelsohn schon seit 1917. Er sollte durch dieses Erstlingswerk zum "Stararchitekten" seiner Zeit werden.

Als Erich Mendelsohn allerdings Einstein eine Veröffentlichung aus dem Jahr 1941 übersandte, in der Parallelen aufgezeigt werden sollten zwischen solcher Architektur wie sie durch den Einstein-Turm repräsentiert wurde einerseits und der Relativitätstheorie andererseits, antwortete Einstein dazu nur (zit. n. Hentschel, S. 87):

Es ist einfach Klug-Scheißerei ohne jede vernünftige Basis!

Was Einstein über den Turm selbst und seine Architektur gedacht hat, scheint nicht zuverlässig überliefert zu sein. Bei der ersten Besichtigung zusammen mit dem Architekten soll er sich lange ausgeschwiegen haben und dann irgendwann wie nebenbei das Wort "organisch" gemurmelt haben. Aber niemand hat nachher sagen können oder wollen, ob diese Kennzeichnung in anerkennendem oder absprechendem Sinne ausgesprochen worden war.

Abb.: Der futuristisch anmutende Einstein-Turm in Potsdam (Postkart)

Womöglich stand Einstein ebenso ratlos vor dieser bis heute befremdlich wirkenden Architektur, wie man noch heute davor stehen kann. Was im übrigen Hans Ludendorff von der Architektur dieses Einstein-Turmes gedacht hat, der ihm da auf dem Potsdamer Telegrafenberg vor die Nase gesetzt worden war, ist einstweilen nicht bekannt. 

Als die Beschlüsse zum Bau dieses Turmes waren schon gefallen, als er selbst noch nicht Leiter des Observatoriums war.

1921 - Ludendorff wird Leiter des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam

Sein Vorgänger Gustav Müller wurde 1921 pensioniert. Die theoretischen Physiker um Albert Einstein versuchten nun erneut, einen der ihren - wie Max von Laue - als seinen Nachfolger einzusetzen. Doch Müller vertrat die Ansicht10 (einstweilen nur als Google-Bücher-Ausschnitt zitierbar):

… Direktors die höchsten Anforderungen stellt, würde bei Ludendorff in den besten Händen liegen. - Es könnte Bedenken erregen, dass ein Forscher wie v. Laue, welcher der Astronomie bisher ferner stand, zum Direktor des astrophysikalischen Observatoriums vorgeschlagen wird, zumal wir nach allgemeinem fachmännischen Urteil in Ludendorff wenn auch keine überragende Persönlichkeit, so doch einen tüchtigen Fachmann ...

Müller schlug also vor, seinen bisherigen (1979, Bd. 1, S. 56)

Mitarbeiter Hans Ludendorff als seinen Nachfolger zu benennen, von dem allerdings bekannt war, daß er zwar als tüchtiger Fachmann, aber nicht als überragende Persönlichkeit galt. Aber Müller vertrat die Ansicht, daß Ludendorff einen ordentlichen Dienstbetrieb im Astrophysikalischen Observatorium garantieren würde. Andere Astronomen ständen nicht zur Verfügung. - Darauf meldeten Einstein, Nernst und Planck einige Bedenken an und behielten sich vor ….

Am 17. Februar hielt Max Planck eigenhändig fest (1979, Bd. 2, S. 47):

Nr. 136 (104) Protokoll der 1. Sitzung der Kommission für die Besetzung der Direktorstelle des Astrophysikalischen Observatoriums vom 17. Febr. 1921: Die Kommission einigt sich, Hans Ludendorff als einzigen Kandidaten vorzuschlagen, Walther Nernst und Albert Einstein sollen jedoch noch andere Varianten ermitteln. egh. von Planck

In einer Stellungnahme schrieben die genannten Physiker (zit. n. Hentschel, S. 58f):

Die Entwicklung der modernen Astrophysik hat es mit sich gebracht, daß die Verbindung der Astronomie und der Physik immer enger geworden ist. Die Astronomen können an den theoretischen und experimentellen Untersuchungen von Männern wie Einstein, Eddington, Michelson u. a., die zu den bedeutendsten Erfolgen geführt haben, nicht stillschweigend vorübergehen, und andererseits haben die Physiker das allergrößte Interesse an den Fortschritten der Astronomie. Nur durch intimes Zusammenarbeiten der besten Kräfte auf beiden Gebieten ist etwas Vollkommenes zu erwarten.

Der Wissenschaftshistoriker Hentschel schreibt dazu weiter (S. 61):

Der anvisierte Kompromiß, Ludendorff als geschäftsführenden Direktor einzusetzen und ihm v. Laue als ranggleichen zweiten Direktor an die Seite zu setzen, wurde nun aber vom Preußischen Kultusministerium abgelehnt. Letztendlich wurde Ludendorff als Direktor eingesetzt, der regelmäßig einem neu eingesetzten Kuratorium Bericht zu erstatten hatte, in das sein Amtsvorgänger Müller ebenso wie v. Laue, Einstein und Planck als theoretische Physiker gewählt wurden. Die Aufgabe dieses Kuratoriums sollte (…) insbesondere die Beratung der Astronomen in physikalischen Fragen sein.

Damit waren die personalen Konstellationen festgelegt, in denen sich Hans Ludendorff über die nächsten zehn Jahre hinweg bewegen sollte.

1921 - Ludendorff lobt Einstein-Mitarbeiter

Es scheint auch nicht so zu sein, als ob Hans Ludendorff von vornherein in persönliche Gegnerschaft zu seinem Mitarbeiter Erwin Freundlich geraten wäre. In einem Brief vom 27. Mai 1921 an das Kultusministerium lobte Ludendorff vielmehr die Bemühungen seines Untergebenen Freundlich. Leider einstweilen nur in englischer Übersetzung zitierbar (Einstein-Dossiers, S. 83):

Während des vergangenen Jahres wandte Dr. Freundlich viel persönliche Mühe auf, um die Einstein-Stiftung zu betreiben und den Einstein-Turm zu erbauen (...) in Konferenzen in Berlin (...), bei Zeiss in Jena (...). Im kommenden Monat ist eine weitere Reise nach England notwendig, da Dr. Freundlich von den Universitäten von Manchester und Oxford eingeladen worden ist, Professor Einstein auf seinem Besuch zu begleiten, um ihm die mit seiner Beherrschung der englischen Sprache und Expertise in den neuen theoretischen Diskussionen über die Relatvitätstheorie mit den englischen Physikern behilflich zu sein.
During the elapsed year Dr. Freundlich expended much personal effort toward organizing the Einstein Donation Fund and managing the construction of the tower telescope. Since all the negotiations with the sponsors and the firms involved in the construction were in his hands, he was often compelled to take part in conferences in Berlin that took up the whole day. Because the design of the telescope is being carried out by the Zeiss Company in Jena according to his specifications, frequent trips there are necessary. (…) In the coming month an additional trip to England is necessary, since Dr. Freundlich has been invited by the Universities of Manchester and Oxford to accompany Professor Einstein on his visit, in order to facilitate with his command of the English language and expertise in the new theory discussions about relativity theory with the English physicists.

Auch hier wird wieder deutlich, daß sich Hans Ludendorff zusammen mit Mitarbeitern sehr nah im nächsten Umfeld der damaligen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen rund um die Relativitätstheorie bewegte.

1921 - Ludendorff und Einstein auf dem Astronomen-Tag in Potsdam

Daß das kollegiale Verhältnis zwischen Albert Einstein und Hans Ludendorff durch die Wahl des Letzteren zum Leiter des Astronomischen Observatoriums in Potsdam nur noch enger wurde, wurde auch der Öffentlichkeit sichtbar gemacht. So brachte die „Berliner Illustrierte Zeitung“ am 4. September 1921 ein Foto (Einstein-Akte, S. 146):

Prof. Einstein und Prof. Dr. Ludendorff beim Astronomentag in Potsdam.

Das Foto war auf der Jahrestagung der Astronomischen Gesellschaft in Potsdam vom 24. bis 27. August 1921 entstanden. Es zeigt Einstein und Ludendorff im Gespräch nebeneinander einherschreitend. Dabei ist das Gesicht von Ludendorff nicht besonders gut zu erkennen, da er von der Sonne geblendet ist. Im Abstand zu ihnen gruppieren sich andere Menschen, vielleicht Ehefrauen. Das Foto scheint während einer Tagungs-Pause entstanden zu sein.

1922 - Ludendorff Kuratoriumsmitglied der Einstein-Stiftung

Über die weitere Entwicklung erfahren wir (Grundmann, S. 142):

Am 4. Januar 1922 wurde die Satzung der Einstein-Stiftung beschlossen. (…) § 2 nennt die Mitglieder des Kuratoriums.

Und zwar Einstein, Freundlich, Ludendorff, sowie drei weitere Personen, insbesondere auch aus der Industrie:

Im Sommer 1931 bestand das Kuratorium der Einstein-Spende aus den Herren: Einstein, v. Laue, Nernst, Schrödinger, Paschen, Franck

fünf weiteren Personen und

Ludendorff. § 3 Der Satzung bestimmte das Astrophysikalische Observatorium Potsdam zum Sitz der Stiftung.

Ludendorff hatte also die ganze Zeit über auch mit diesem Einstein-Institut im Einstein-Turm und seinem Leiter Erwin Freundlich zu tun.

1922 - Ludendorff und die Anti-Einstein-Agitation

Der anrüchtige Paul Weyland (1888-1972) ist der eigentliche Begründer der sogenannten "Deutschen Physik" gewesen, von der sich Menschen wie Planck, Sommerfeld und Heisenberg angeekelt abwandten. Weyland hat auch in Hans Ludendorff keinen Fürsprecher gefunden. Es wird über Weyland berichtet (Einstein-Akte, S. 173):

1920 Organisator der Anti-Einstein-Kampagne. (…) Im Herbst 1921 Reise in die Vereinigten Staaten. 1922 Planung einer Reise nach Norwegen. Weyland erwartet vom Deutschen Konsulat in Hammerfest finanzielle Unterstützung seiner angeblich astronomischen Zwecken dienenden Reise. (…) Die Deutsche Botschaft in Kristiana gab den Vorgang an das Innenministerium weiter, das Prof. Ludendorff, Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, um Auskunft bat. Ludendorff antwortete: Weyland hat die Vorträge in der Philharmonie organisiert, "deren Zweck es war, weitere Kreise gegen die Einsteinsche Relativitätstheorie zu verhetzen"; er schickte Weylands Bettelbrief zurück "mit dem Bemerken, daß ich vor einer Unterstützung des Herrn Weyland dringend warne".

1922 - Ludendorff soll als Stellvertreter Einsteins nach Mexiko reisen

Für den 10. September 1923 wurde eine Sonnenfinsternis in Mexiko erwartet, von deren Untersuchung man sich vieles für die Forschung erhoffte. Aus diesem Grund wurde Albert Einstein von der mexikanische Regierung zur Beobachtung derselben schon eineinhalb Jahre früher eingeladen. Einem Aktenvermerk des Kultusministeriums ist zu entnehmen (zit. n. Einsteins Akte, S. 143f):

Professor Einstein teilt uns mit, daß er der Einladung der Mexikanischen Regierung nicht Folge leisten kann, da er beabsichtigt, vorerst in Deutschland zu bleiben. Er bittet der Mexikanischen Regierung seinen Dank zu sagen, und würde es sehr begrüßen, wenn die geplante Expedition doch zu Stande käme. Als Führer schlägt er Professor Ludendorff vor.
Daß Einstein Hans Ludendorff und nicht seinen vormaligen Assistenten Erwin Freundlich als seinen Ersatz vorschlägt, wird von den Wissenschaftshistorikern besonders vermerkt (Siegfried Grundmann/Einsteins Akte, S. 143):
Als Einstein, dazu von der Mexikanischen Regierung eingeladen, 1923 nicht zur Beobachtung der Sonnenfinsternis nach Mexiko kommen kann, schlägt er vor, daß Ludendorff an seiner Stelle reist (Freundlich wird nicht erwähnt).

Am 25. Mai 1922 meldete dann „The Review of Popular Astronomy“:

Potsdam, 25. Mai - Dr. Hans Ludendorff, Bruder des berühmten Generals, wird eine Expedition deutscher Wissenschaftler nach Mexiko anführen, um die totale Sonnenfinsternis am 10. September zu beobachten.
Alle Kosten vom Zeitpunkt, an dem die Astronomen ihre Häuser verlassen bis zu ihrer Rückkehr werden von der mexikanischen Regierung übernommen, auf deren Einladung hin diese Expedition unternommen wird. Eine der Hauptaufgaben des Besuches ist es, weitere Überprüfungen von Einsteins Relativitätstheorie vorzunehmen.
Potsdam, May 25. - Dr. Hans Ludendorff, brother of the famous general, will head an expedition of German scientists to Mexico this year to observe the total eclipse of the sun on Sept. 10.
All expenses from the time the astronomers leave their homes until they return will be borne by the Mexican Government, at whose request the expedition is to be undertaken. One of the chief objects of the visit is to make a further test of the Einstein relativity theory.

Hier tritt also Hans Ludendorff sozusagen sogar als "Vertreter" von Albert Einstein auf, der mit der empirischen Überprüfung der Einstein'schen Theorie befaßt ist.

April bis September 1923 - Ludendorff in Mexiko

Knapp ein Jahr später, am 27. April 1923, bringt die "Berliner Illustrierte Zeitung" auf ihrer Titelseite eine Fotografie von Hans Ludendorff und seinen Mitarbeitern - alle bekleidet mit breitkrämpigen mexikanischen Sonnehüten - beim Aufbau eines großen Fernrohres in Mexiko (Hentschel, S. 135). Die Sonnenfinsternis selbst fand dann am 10. September 1923 statt, genug Zeit, um zwischendurch die archäologischen Stätten der Maya zu besichtigen. Zu der immer noch im Raum wabernde Vermutung, daß Hans Ludendorff ein Gegner der Relativitätstheorie gewesen sein könnte, wird von der Wissenschaftsgeschichte in diesem Zusammenhang noch einmal eindeutig festgestellt (Einstein-Akte, S. 144):

Tatsächlich jedoch gehörte die Prüfung des "Einstein-Effekts" zum Programm der von Ludendorff geleiteten Sonnenfinsternisexpedition 1923 nach Mexiko.

Als der Hitler-Ludendorff-Putsch am 8. und 9. November 1923 in München stattfand, wird sich Hans Ludendorff entweder noch auf seiner Reise in Mexiko befunden haben oder gerade erst zurück gekommen sein. Wie er mit der Tatsache umgegangen ist, auf der einen Seite in Albert Einstein einen Kollegen zu haben, der sich politisch unter anderem als ausgesprochener Pazifist positionierte und mitunter sogar Sympathien mit der Sowjetunion erkennen ließ - und auf der anderen Seite einen Bruder, der mit seinen Zielen auf dem äußersten rechten Flügel des politischen Spektrums angesiedelt war, dazu ist einstweilen nichts bekannt.

Aber nach allem, was bislang erkennbar geworden ist, wird Hans Ludendorff auf ähnlicher politischer und weltanschaulicher Linie einzuordnen sein wie Max Planck, Arnold Sommerfeld oder Werner Heisenberg. Sie alle haben Albert Einstein gegenüber zu jeder Zeit persönliche und wissenschaftliche Sympathien und Hochachtung bewahrt, ohne deshalb auch gleich dessen politische Ansichten zu teilen.

1925 - Ludendorff reagiert brüsk auf den Namen Delbrück

Das im folgenden zu schildernde Erlebnis des jungen Max Delbrück (1906-1981) mit Hans Ludendorff ist wohl nur verstehbar vor dem Hintergrund der damaligen schweren menschlichen Spannungen zwischen Hans Ludendorff und Erwin Freundlich auf dem Telegrafenberg in Potsdam. Daß letzterer als Forschungsassistenten den jüngsten Sohn des Historikers Hans Delbrück (1848-1929) anstellte, der in den Jahren 1920 bis 1922 aufgrund seiner äußerst polemischen Stellungnahmen gegen Erich Ludendorff - insbesondere in der Schrift "Ludendorffs Selbstporträt" von 1922, eine Art Besprechung von "Meine Kriegserinnerungen" von Erich Ludendorff - ), dieser Umstand scheint bei Hans Ludendorff vor allem als ein erneuter, bewußter und sehr persönlicher, beabsichtigter Affront Erwin Freundlichs ihm gegenüber wahrgenommen worden zu sein. Und wer weiß, ob sich Erwin Freundlich nicht wirklich dabei "ins Fäustchen lacht".

Abb.: Der große Refraktor im Astrophysikalischen Observatorium Potsdam (Postkarte) - Das bis heute viertgrößte Linsenfernrohr der Welt. Es wurde aber schnell durch modernere Spiegel-Teleskope abgelöst.

Jedenfalls wird auch ein Hans Ludendorff - ohne die sonstige persönliche Gegnerschaft zu Erwin Freundlich - nicht einfach einen jungen Assistenten seines Institutes derart in "Sippenhaft" genommen haben für die Taten seines Vaters wie es aus diesen Erinnerungen von Max Delbrück herausklingt. Der nachmalige Nobelpreisträger Max Delbrück berichtete in Kalifornien an seinem Lebensabend (Ernst Peter Fischer, S. 31):

"Ich war Student an der Universität von Berlin und hatte daneben einen unbezahlten Job als Forschungsassistent an einem Teleskop übernommen, das der Einstein-Stiftung gehörte und auf dem Gelände des Potsdamer Observatoriums lag. Das Teleskop, das in einem Turm lag, war von Erwin Freundlich erdacht worden. Er war ein großer Enthusiast von Einstein und der Allgemeinen Relativitätstheorie. … Freundlich hatte auch Geld organisiert, um den Einstein-Turm mit dem Teleskop bauen zu können. … Am ersten Tag meines Jobs dachte Freundlich, es sei höflich, mich dem Direktor des Observatoriums vorzustellen, .... dies war damals Professor Hans Ludendorff", ein Bruder des Generals Erich Ludendorff (...).
Als Hans Ludendorff den Namen Delbrück hörte, zog er sofort seine Hand zurück und fragte, ob Max der Sohn des Historikers sei. Als Max dies bejahte, drehte sich Ludendorff auf dem Absatz um und verschwand hinter der zuknallenden Tür des Arbeitszimmers. Später beschuldigte er Freundlich, ihn absichtlich beleidigt zu haben, indem er den Sohn eines Mannes eingestellt habe, der seinen Bruder in einer Weise beleidigt hatte, die nicht mehr zu tolerieren sei. (…) Es dauerte mehrere Wochen, bis sich der Bruder des Generals im Observatorium beruhigte.

Sicherlich spiegelt sich in diesen Erinnerungen etwas von dem schweren Spannungsverhältnis wieder, das damals zwischen Hans Ludendorff und Erwin Freundlich bestand. Weiteres wird man aus ihm schwerlich ableiten können.

September 1925 - Einstein teilt Ludendorffs Urteil

Am 15. September 1925 schrieb Albert Einstein an Hans Ludendorff (zit. n. Einsteins Akte, S. 143; ebenso 1979, Teil 1, S. 196) (auch GB2018):

Verehrter Herr Kollege!

(...) Wir sind Ihnen allen sehr dankbar dafür, daß Sie uns in grosszügiger Weise die Lösung des Falles Delbrück so erleichtert haben. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß Sie keinem Unwürdigen das Opfer gebracht haben. Was Herrn Freundlich betrifft, so wissen Sie ja meine Meinung. Ich habe ja ebenfalls die persönlichen Beziehungen zu ihm abgebrochen und hätte dem von Ihnen verlesenen Sündenregister noch recht hübsche "Piecen" hinzufügen können. Er gehört zu den ganz wenigen, bei denen ich eine so schroffe Haltung für nötig erachte. Ich achte aber sein organisatorisches Verdienst und handle demgemäß, wie Sie es in anerkennenswertester Weise bei Gelegenheit seiner Ernennung auch getan haben. So dienen wir beide der Sache, wenn wir auch den Menschen und Wissenschaftler gering einschätzen. Er ist es nicht wert, daß man sich über ihn ärgert.

Freundlich grüßt Sie Ihr ergebener

A. Einstein

In den Fall Delbrück ist also auch Albert Einstein involviert gewesen. Ob es Hans Ludendorff immer gelungen ist, sich an diese Einstein'sche Devise zu halten, darüber scheinen Zweifel angebracht. Der Wissenschaftshistoriker schreibt (Einsteins Akte, S. 143):

Wenn das Verhalten von Erwin Freundlich erneut zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wird, dann vor allem, um zu zeigen, daß Einsteins Werturteil begründet war und die folgenreiche persönliche Gegnerschaft von Hans Ludendorff und Freundlich nicht oder nicht in erster Linie aus Ludendorffs politischer Position erklärt werden kann. (…) Wie zu sehen war, hatte Einstein zu Ludendorff ein durchaus kollegiales Verhältnis, trotz gegensätzlicher politischer Positionen.

Im Grunde ist zu den politischen Positionen von Hans Ludendorff - abgesehen von seinen ganz persönlich motivierten Sympathien für seinen Bruder, die gleich noch gut erkennbar werden - einstweilen nur wenig bekannt geworden. 

Am 30. November 1925 schreibt Hans Ludendorff an Albert Einstein in Antwort auf einen Brief, der sich offenbar eingesetzt hatte dafür, daß ein Alfred Weber eine Stelle am Astrophysikalischen Observatorium erhalten. Ludendorff antwortet, andere hätten begründetere Ansprüche auf die Stelle und Weber wäre auch im Streit mit Personen, die er, Ludendorff, für feine Menschen hält.

1926 - Forschungsreise nach Bolivien

Im Jahr 1926 war Hans Ludendorff mit astronomiegeschichtlichen Forschungen in Bolivien beschäftigt (GB):

Als deutsche Wissenschaftler zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Puma Punku das Alter eines prähistorischen Observatorium auf 17.000 Jahren berechneten, war das Entsetzen groß. Deshalb schickte die Deutsche Astronomische Gesellschaft 1926 eine Expedition nach Puma Punku, um die Angaben zu überprüfen. Unter der Leitung des Maya-Experten Prof. Dr. Hans Ludendorff vom Astrophysikalischen Observatorium in Potsdam, sowie des Astronomen Dr. Rolf Müller kam die Gruppe nach zwei Jahren zu dem Ergebnis, die astronomische These stimmte im Prinzip, sie schätzten das Alter jedoch "nur" noch auf 11.000 bis 12.000 Jahre. Natürlich wurden auch diese Zahlen von der Fachwelt nicht akzeptiert und rundherum abgelehnt und die Teilnehmer der Expedition trotz ihrer anerkannten Reputation regelrecht angefeindet.  

Siehe dazu auch (GB). 

1926 - Die neue Schwägerin Mathilde Ludendorff

Im Herbst 1926 erhielt Hans Ludendorff in Potsdam Besuch von seinem Bruder Erich Ludendorff, der sich ein zweites mal verheiratet hatte. Mathilde Ludendorff berichtet von den damals üblichen Verwandtenbesuchen nach der Hochzeit (1967, S. 82f):

… Von hier aus suchten wir Professor Hans Ludendorff, den Leiter der Sternwarte in Potsdam, den jüngeren Bruder Erich Ludendorffs, auf. Auch hier war ein Fest gerichtet, und es herrschte freudige Stimmung. (...) Als ich den feinen durchgeistigten Kopf des Astronomen sah, der das gleiche edle und gewinnende Lächeln des Feldherrn zu eigen hatte, da war dennoch ein nahes, herzliches Band rasch geschlossen, und ich merkte es an jedem Wort und Blick, daß die starke Sympathie gegenseitig war. Wie hoffte ich damals auf ein nahes und reges geschwisterliches Zusammenhalten. Ein Bruder wurde mir also auf dieser Fahrt in Potsdam geschenkt, und es wurde ein neues Band zu Erich Ludendorffs Jugend geschlungen.

Womöglich gibt es noch weitere Ausführungen zu Hans Ludendorff in den Lebenserinnerungen von Mathilde Ludendorff. Diese wären dann noch herauszusuchen.

1928 - Ludendorff beschwert sich bei Einstein

Zurück zu Ludendorffs Fehden und Kleinkriegen auf dem Telegrafenberg. Die Aufstellung des Etats der Einstein-Stiftung für das Haushaltsjahr 1929 erfolgte ohne Rücksprache mit Ludendorff. In einem Brief beschwerte sich dieser Ende Juni, Anfang Juli 1928 bei Einstein darüber (Einstein-Akte, S. 144),

daß "das unter Ihrem Vorsitz stehende Kuratorium der Einstein-Stiftung, dessen Mitglied ich bin, mit mir (nicht) Fühlung genommen hat", als der Etatsantrag des Kuratoriums verabschiedet wurde und empfindet dies als "große Unfreundlichkeit". "Schmerzlich ist es mir", schreibt Ludendorff weiter, "daß Sie zu dieser Unfreundlichkeit mir gegenüber die Hand geboten haben, und es erstaunt mich das umsomehr, als Sie doch vor nicht zu langer Zeit in einem mir noch vorliegenden Briefe meine volle Sachlichkeit anerkannt und gleichzeitig Ihre Meinung über Prof. Freundlich als Menschen und als Gelehrten in nicht mißzuverstehender Weise zum Ausdruck gebracht haben."
Der Wissenschaftshistoriker hält dann weiter fest:
Da war Einstein im Unrecht, nicht Ludendorff. Einstein mußte büßen für die eigene Nachlässigkeit in Leitungsfragen und für die mitverschuldeten Eigenmächtigkeiten von Erwin Freundlich. Ludendorff war im Vergleich zu Freundlich für Einstein zwar der "wesentlich ungeschicktere, aber doch … der weitaus anständigere von Beiden."

Am 2. Juli 1928 erstattte Hans Ludendorff über diesen Vorgang auch an das Kultusministerium Bericht. Er sandte ein Schreiben (1979, Bd. 2, S. 119)

an das Kultusministerium mit der Abschrift eines Briefes von Ludendorff an Albert Einstein über die ohne seine Mitwirkung erfolgte Aufstellung des Etats der Einstein-Stiftung für das Haushaltsjahr 1929.

1929 - Einsteins Verstehen für Ludendorffs Zornesausbruch

Im Januar 1929 gab es eine erneute Sitzung des Kuratoriums der Einstein-Stiftung, zu der Einstein Max von Laue einlud und hinzufügte (zit. n. Hentschel, S. 138):

Offiziös versichere ich Dir, daß Du auf Deine Kosten kommen wirst; denn es wird "hoch hergehen". Ich freue mich auch darauf. Der Mensch kann nicht nur von der Logik leben. Er braucht auch etwas für sein schwarzes Herz.
Hier wird bei Einstein auch allerhand Spott deutlich über Hans Ludendorff und über dessen Schwierigkeiten und Fehden mit Erwin Freundlich. Arnold Berliner, der Herausgeber der Zeitschrift "Die Naturwissenschaften", versuchte sich nach der Sitzung Einstein gegenüber für Erwin Freundlich zu verwenden (zit. n. Hentschel, S. 138):
Einstein antwortete dem Vermittelnden, der Ludendorffs cholerischen Wutausbruch auf einer Kuratoriumssitzung gegen Freundlich immerhin als "ungehörig" und "verletzend" bezeichnete und die Form dieser Angriffe auf Freundlich verurteilte: "Einerseits freue ich mich, daß Sie eine so kräftige moralische Ader haben. Andererseits tut es mir leid, daß Sie Ihre Gefühle an so wenig würdige Objekte verschwenden. Immerhin muß ich sagen, daß mir L[udendorff] zwar als der wesentlich ungeschicktere, aber doch als der weitaus anständigere von Beiden erscheint. Ich meinerseits halte es nicht für erspriesslich, mich irgendwie in diese Streiterei einzumischen, nehme aber Ihren Brief respektvoll zu demjenigen, was bei mir dem entspricht, was Sie Akten nennen."

Einstein also wollte sich in die Niederungen dieses "Gezänks" nicht einlassen.

1929 - Ludendorff im Interview

In einem Interview, das Hans Ludendorff (1928 oder) 1929 für eine Buchveröffentlichung zu einem psychologischen Thema gab, wird deutlich, daß er sich eher als ein Sammler und Ordner von Beobachtungsdaten sah, denn als ein Neuformulierer bedeutenderer wissenschaftlicher Weiterentwicklungen und Entdeckungen. Ganz offen spricht er zum Beispiel aus11:

Für Methodik habe ich wenig Interesse und betrachte das als einen Mangel meiner wissenschaftlichen Persönlichkeit. Wenn bei Lösung einer mir vorliegenden wissenschaftlichen Aufgabe methodisch Neues nötig ist, so betrachte ich die Entwicklung der Methode lediglich als eine nicht zu umgehende Notwendigkeit.

Vergnügen bereite ihm eher, so führte er weiter aus, die Diskussion von neu gesammeltem und geordnetem Tatsachenmaterial und das Finden bislang unbekannter Zusammenhänge zwischen ihnen.

1931 - Einstein vermittelt auf dem Telegrafenberg

Am 9. April 1931 fuhr Albert Einstein erneut als "Friedenstaube", wie er sich bezeichnete, nach Potsdam. Denn über Einsteins Tagebucheintrag vom 8. April 1931 wird berichtet (Eisinger, 6. Kapitel, S. 118): 

Im Tagebuch erinnerte er sich selbst, daß er am nächsten Tag ins Astronomische Observatorium nach Potsdam zu fahren habe, um die letzten Streitereien zwischen dem Direktor des Observatoriums, Hans Ludendorff, und dem Physiker Erwin freundlich abzumildern. Er würde dabei von Max von Laue und Erwin Schrödinger begleitet werden. Einstein bezeichnete das Trio als die drei "Friedenstauben". Und ihre Mission wirft ein Licht auf Einsteins akademische Aktivitäten in Berlin.
In the diary, he reminded himself that the following day, he would travel to the astronomical observatory in Potsdam to help calm the latest squabble between the observatory's director, Hans Ludendorff, and the physicist Erwin Freundlich. He would be joined in this by Max von Laue und Erwin Schrödinger. Einstein referred to the trio as the three „peace doves“, and their mission throws light on Einstein's academic activities in Berlin.

Einstein scheint die Schwierigkeiten seines Kollegen Ludendorff eher auf die leichte Schulter genommen zu haben.

1931 - Ludendorff über die neuesten Versuche der empirischen Überprüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie

1931 veröffentlichte Hans Ludendorff in den „Astronomischen Nachrichten“ seinen Artikel „Über die Ablenkung des Lichtes im Schwerefelde der Sonne“

In ihm geht es um die jüngste empirische Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins durch Erwin Freundlich und Mitarbeiter während der totalen Sonnenfinsternis am 9. Mai 1929:

Für die Lichtablenkung am Rande der Sonne hat sich der Wert E = 2.24 ergeben, während auf Grund der allgemeinen Relativitätstheorie der Wert E = 1.75 erwartet werden müßte.

Ludendorff weist in diesem Artikel darauf hin, daß offenbar die erwartete empirische Bestätigung der Relativitätstheorie schwerer zu erreichen ist, als man bis dahin gedacht hatte.

1933 - Ludendorff fordert Hitler-Gruß

Albert Einstein gehörte dann zu den ersten, die nach der Regierungsübernahme von Adolf Hitler Deutschland verließen, und die hier alle vormaligen Ämter verloren. Wie Hans Ludendorff darüber gedacht hat, ist einstweilen nicht bekannt. Das Einstein-Institut auf dem Telegrafenberg wurde sehr bald umbenannt in „Institut für Sonnenphysik“. Erwin Freundlich behielt einstweilen noch die Leitung desselben.

Am 5. Oktober 1933 benutzte Hans Ludendorff aber die inzwischen eingeführte Pflicht aller Staatsbeamten zum Hitler-Gruß dazu, seinen langjährigen persönlichen Intimfeind Erwin Freundlich, der dieser Pflicht nicht nachkam, zu Fall zu bringen. Ludendorff konnte sich dabei natürlich leicht bewußt sein, daß sein Bruder Erich Ludendorff und seine Schwägerin Mathilde Ludendorff solchen „Tell-Hüten“ wie dem Hitler-Gruß und anderem Partei-Gebaren und -Popanz ganz und gar ablehnend gegenüber standen, und daß sie für dieses Vorgehen des Bruders und Schwagers, von dem sie Genaueres nicht erfahren haben werden, sicherlich kaum Verständnis gehabt haben werden.

Als etwa Mathilde Ludendorff, ihre Schwester und ihre Kinder beim Staatsakt für Erich Ludendorff an der Feldherrnhalle in München vor der gesamten Weltöffentlichkeit die Beileidswünsche Adolf Hitlers und der gesamten Parteiprominenz entgegennahmen, erhob niemand von Seiten der Familie den Arm zum Hitlergruß.

Aber auch bei diesem Vorgehen gegen Erwin Freundlich wird auf Seiten von Hans Ludendorff nicht eine politische Überzeugung das treibende Motiv gewesen sein, sondern lediglich seine sehr persönliche Feindschaft, die zumindest auf seiner Seite mit vielen persönliche Verletzungen einhergegangen sein könnte, denen gegenüber er sich zu rächen gesonnen war, wie er einem Kollegen gegenüber auch freimütig gestand.

1933 - Ludendorff wird Leiter des „Instituts für Sonnenphysik“

Ludendorff übernahm dann die Position von Erwin Freundlich12:

Am 10. November 1933 machte Vahlen Ludendorff die Mitteilung: "Im Verfolg des Erlasses vom 2. Mai 1933 (...) wird die Leitung und Verwaltung des Instituts für Sonnenphysik mit sofortiger Wirkung Ihnen als Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums übertragen. (…) Ich ersuche, hiernach sogleich das Erforderliche zu veranlassen und den Hauptobservator Prof. Dr. Freundlich zu benachrichtigen." Das "Erforderliche" war, daß Freundlich, der gerade im Ausland weilte und der sich zudem schriftlich dagegen gewehrt hatte, am Institut zum deutschen Gruß verpflichtet zu werden, die Bezüge gestrichen wurden. Er wurde aufgrund des Arierparagraphen vorzeitig "in den Ruhestand versetzt", doch auch ein Ruhegeld wurde nicht gezahlt. Daß seine Emigration zunächst nur ein Ruf nach Istanbul war, um eine Sternwarte aufzubauen, und er sich eine ...

Freundlich fiel aufgrund einer jüdischen Großmutter väterlicherseits unter den § 3 des "Berufsbeamtengesetzes", den erwähnten sogenannten "Arierparagraphen". Er erhielt eine Anstellung in Istanbul, um dort eine Sternwarte aufzubauen. Wir hören außerdem (GB):

Eine Anweisung des Direktors des Astrophysikalischen Observatoriums Hans Ludendorff, die im Eingangsbereich aufgestellte Einstein-Büste des dänischen Bildhauers Harald Isenstein aus dem Jahre 1926 umgehend zu entfernen, wurde zwar erfüllt und die Büste in den Institutskeller verbracht, wo sie das Dritte Reich unbeschadet überdauert hat, doch legte man auf den leeren Sockel symbolhaft einen Stein.

Gemeint: "Ein Stein".

1934 - Ludendorff weiterhin mit der empirischen Überprüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie befaßt

Über die Vermutung, daß Ludendorff ein Gegner der Relativitätstheorie gewesen sei, heißt es in einer neueren Veröffentlichung (Einstein-Akte, S. 144):

Im Februar 1934, nach dem Machtantritt der Faschisten und nach dem Ausscheiden Freundlichs, wurden vom Astrophysikalischen Observatorium - dem jetzt das Institut für Sonnenphysik angeschlossen war - bei der Firma Zeiss in Jena Apparaturen zur Weiterführung der „bisherigen Untersuchungen über die Lichtablenkung im Gravitationsfeld der Sonne bei Sonnenfinsternissen“ bestellt. „Vom Einstein-Effekt“ war dann zwar nicht mehr die Rede, am Thema aber hatte sich nichts geändert. 1934 hatte sich nicht Ludendorff, sondern Freundlich von der Theorie getrennt.

Mit letzterem Satz war gemeint, daß Erwin Freundlich im Jahr 1934 nicht mehr an die Richtigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie glaubte, während Hans Ludendorff zur gleichen Zeit noch neue Geräte zu ihrer Überprüfung bestellte für das inzwischen zu „Institut für Sonnenphysik“ umbenannte „Einstein-Institut“.

Vorsitzender der "Astronomischen Gesellschaft"

Von 1932 bis 1939 war Hans Ludendorff der Vorsitzende der bis heute bestehenden, 1863 gegründeten "Astronomischen Gesellschaft" (Wiki). 1937 schrieb der schon genannte Hertzsprung an Hans Ludendorff als Vorsitzenden dieser Gesellschaft einen Brief, weil die Astronomische Gesellschaft selbstherrlich die Nomenklatur-Regeln bei der Benennung veränderlicher Sterne festlegen würde, ohne sich international abzustimmen (GB):

Während all den Jahren meiner Mitgliedschaft der A.G.-Kommission habe ich niemals eine Benennungsliste zur Gutheißung vorgelegt bekommen (...) und bin auch nicht um meine Meinung (...) gefragt (worden).

Hertzsprung stellte deshalb an die Gesellschaft den Antrag,

keine Benennungsliste herauszugeben, bis eine wahrlich internationale Lösung gefunden sei.

Arbeiten über die Astronomie der Maya

In dem letzten Lebensjahrzehnt von Hans Ludendorff nahmen astronomiegeschichtliche Untersuchungen, insbesondere seine Auseinandersetzung mit den astronomischen Kenntnissen der Maya einen größeren Raum ein. In einer allgemeinen kulturgeschichtlichen Untersuchung aus dem Jahr 1969 heißt es darüber13:

Vermutlich wird kein professioneller Kulturhistoriker die Gedankenwelt der Maya besser verstehen als es der Astronom Hans Ludendorff getan hat. Es ist nicht so sehr die enorme Zahl der durch die Wissenschaftler neu erforschten Tatsachen in den vielen Jahrhunderten zwischen der Antike und dem 20. Jahrhundert, die uns von der Gedankenwelt unserer großen wissenschaftlichen Vorfahren trennen, sondern die "herunter gestimmten" Erwartungen, von denen unsere Zeit bestimmt sind.
No professional historian of culture is likely to understand better the intellectual frame of mind of the Maya than the astronomer Hans Ludendorff has done. It is not so much the enormous number of new facts established by scientists in the many centuries between antiquity and the 20th century which separates us from the outlook of our great scientific ancestors but the „detiorated“ expectations ruling our time.

Hans Ludendorff betonte in seinen Schriften, daß er in Auseinandersetzung mit den Kenntnissen der Maya über Astronomie gelernt habe, nicht mehr von heutigen Erwartungen über diese Kenntnisse auszugehen, sondern sich ganz und gar auf die Quellen selbst einzulassen:

So wie es Hans Ludendorff einstmals zum Ausdruck brachte, daß es eine unangemessene Annäherung an die Astronomie der Maya wäre, mit den voreingenommenen Überzeugungen zu beginnen darüber, was die Maya müßten wissen können und was sie wahrscheinlich nicht wissen könnten: man sollte stattdessen die Schlüsse allein ziehen aus den Daten, die sich in den Inschriften und Büchern finden.
As Hans Ludendoff once pointed out, it is an unsound approach to Maya astronomy to start from preconceived convictions about what the Maya could have known and what they could not possibly have known: one should, instead, draw conclusions only from the data as given in the inscriptions and codices.

Sicherlich ein weiteres spannendes Thema, dem an dieser Stelle zu gegebener Zeit weiter nachgegangen werden könnte. Wäre doch Ludendorffs Beschäftigung mit der Astronomie der Maya nie zustande gekommen, wenn er nicht anstelle von Albert Einstein 1922/23 auf Einladung der mexikanischen Regierung nach Mexiko gereist wäre.

1939 - Ludendorff-Feier im Zeughaus in Berlin

Am 21. Mai 1939 wurde im Zeughaus in Berlin durch den Generalstabschef Franz Halder eine Büste Erich Ludendorffs enthüllt. In der ersten Reihe saßen bei diesem Anlaß - zwischen Wehrmacht-Generälen - die verwitwete Ehefrau Erich Ludendorffs, Mathilde Ludendorff, und ihr Schwager Hans Ludendorff (Abb. 3).

Abb. 3: Geheimer Rat Prof. Dr. Hans Ludendorff, Generaloberst Fedor von Bock, Mathilde Ludendorff, General Franz Halder am 21. Mai 1939 im Zeughaus in Berlin (entnommen der Zeitschrift "Am Heiligen Quell", 16.6.1939)

Es handelte sich um eine alleinige Feier der Wehrmacht. Es scheinen keine höheren Parteifunktionäre der NSDAP anwesend gewesen zu sein. 

Generaloberst Halder wird - mit weniger Nachdruck als vormals Ludwig Beck - gerne an Erich Ludendorff gedacht und erinnert haben als ein bremsendes Moment in der damaligen risikoreichen Außenpolitik Hitlers.

1939 - Angriffsvorbereitungen im Westen, Ludendorffs Schwiegersohn

Welchen innerfamiliären Austausch es zwischen Hans Ludendorff und seiner Schwägerin Mathilde Ludendorff gegeben hat, darüber kann beim derzeitigen Wissensstand kaum etwas gesagt werden.

Allerdings finden wir (im April 2019) (oben eingefügt), daß der Schwiegersohn von Hans Ludendorff der damalige Oberst und Bomberpilot Artur von Casimir (1908-2005) (Wiki) war. Dieses Wissen könnte Licht werfen auf eine Stelle im damaligen Briefwechsel zwischen Mathilde Ludendorff in Tutzing und ihrer Schwester Frieda Stahl, die damals Klavierlehrerin in Köln war. Aus den Briefen erhält man mancherlei Eindrücke, wie die Schwestern den Krieg erlebten, wobei auch viele Kriegsschicksale innerhalb der Verwandtschaft zur Sprache kommen. Frieda Stahl schreibt am 30. Oktober 1939 an ihre Schwester Mathilde über ihren jüngsten Aufenthalt in ihrer beider Heimatstadt Wiesbaden auf der Rückfahrt von Tutzing nach Köln:

Mein liebes, liebes Tilly,
Nun will ich Dir nacheinander berichten. (...) In Wiesbaden war es kalt und nasser Schnee. (...) Alles, alles hat das Gepräge des Kriegszustands. (...) Am Bahnhof erfuhr ich, daß mein Zug von Wien kommt und mindestens 80 Minuten Verspätung hat. (...) Der Zug hatte nur 50 Minuten Verspätung. Platz war keiner mehr da. Viel Militär, was von Polen auf Urlaub für acht Tage fuhr. Ich stand bis kurz vor Niederlahnstein. (...) Junge Soldaten, die bei Lemberg gekämft hatten und nun selig waren, Urlaub zu haben. Im Ganzen "halten sie sich sehr tapfer" aber sie sagten alle, für die Zivilbevölkerung sei der Krieg etwas Furchtbares. Von den Kämpfen selbst sprachen sie nicht viel aber sonst erzählten sie allerhand. Viele Polen hielten sie zuerst für Engländer und brachten Birnen und Äpfel aber dann die Überraschung, daß sie Deutsche waren. Sie sprachen alle von infamen Grausamkeiten der Polen an einzelnen Soldaten oder Sanitätskolonnen. Sie erzählten von sehr billigen Lebensmittelpreisen, 5 Pf. das Ei, 2,50 eine Gans, die Butter auch sehr billig. Sie waren gute Jungen, die sich furchtbar auf zu Hause freuten. In Köln halfen sie mir treu mit den Koffern. (...) Frau B. (wohl Friedas Haushälterin in Köln) erzählte von mehreren Fällen, die wie Casimir "Bomben zur Front fahren". Viele wissen Bescheid aber sehr viele haben keine Ahnung. Nun muß man einfach durch den endlosen Tunnel wandern, einmal wird es wohl wieder hell werden. (...) Möchte es nur nicht zum ernsten Krieg kommen, hier wünscht man es noch intensiver und die Frage beschäftigt alle, wie lange es dauert und welches Ende es nimmt. Dein Manuskript von der herrlichen Schöpfungsgeschichte liegt wohlbehalten an Ort und Stelle. (...) Morgen gehst Du zum Verlag, hoffentlich hörst Du nicht nur Unerfreuliches. (...) Innigen Kuß, Dein Friedel.

Die Worte "die wie Casimir Bomben zur Front fahren" muß ohne genauere Kenntnis der Umstände dunkel bleiben in ihrer Bedeutung. Mit dem Wissen allerdings, daß ein Artur von Casimir Schwiegersohn von Hans Ludendorff war, wird man vermuten können, daß die beiden Schwestern zuvor in Tuzing über ihn gesprochen hatten. Und man könnte mutmaßen, daß hier von Angriffsvorbereitungen im Westen die Rede war. Es war dies ja die Zeit des "Sitzkrieges". Über diese Zeit heißt es auf Wikipedia (Wiki):

Als die französische Mobilmachung Mitte September 1939 abgeschlossen war, war Polen nahezu besiegt. Sowjetische Truppen hatten mit der Besetzung Ostpolens begonnen, was die politische Situation noch schwieriger gestaltete. Nicht wenige Politiker begannen nun auf eine politische Lösung des Konflikts zu setzen, insbesondere nach dem Friedensangebot Hitlers an die Westmächte am 6. Oktober. Ein Angebot der Niederlande und Belgiens zur Friedensvermittlung an die Staatsoberhäupter Englands, Frankreichs und Deutschlands vom November 1939 wurde von England und Frankreich zurückgewiesen; diese forderten als Grundlage für Friedensverhandlungen über die Wiederherstellung der Tschechoslowakei und Polens hinaus auch die Österreichs. Die Einsatzbereitschaft des anfangs lediglich vier Divisionen umfassenden britischen Expeditionskorps wurde sogar erst Mitte Oktober hergestellt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Verlegung der Masse des deutschen Heeres nach Westen längst begonnen. Die Alliierten richteten sich daher an der Maginot-Linie zur Verteidigung ein. Die Entscheidung, Frankreich noch 1939 anzugreifen, war gefallen, noch ehe der „Fall Weiß“ vollständig beendet und Warschau gefallen war. Am 9. Oktober 1939 wurde „Weisung Nr. 6“ herausgegeben, welche die Grundzüge der Operationen im Westen festlegte, bevor die Alliierten am 10./12. Oktober 1939 das deutsche Friedensangebot vom 6. Oktober 1939 abgelehnt hatten. Der erste Angriffsplan wurde am 19. Oktober 1939 vom Generalstab des Heeres unter Generaloberst Franz Halder fertiggestellt und ähnelte stark dem „Schlieffenplan“ mit Schwerpunktbildung auf dem rechten Flügel. (...) Zum Entsetzen der Generalität des Oberkommandos des Heeres (OKH) unter Walther von Brauchitsch wurde aus der Vermutung mit Befehl vom 31. Oktober 1939 Gewißheit. Der Angriff wurde trotz massiver Bedenken des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) bezüglich Kampfstärke und Munitionsversorgung der Wehrmacht auf den 12. November 1939 eine Viertelstunde vor Sonnenaufgang festgesetzt.  Durch eine Auseinandersetzung zwischen Adolf Hitler und Walther von Brauchitsch über die Leistungsfähigkeit der Wehrmacht am 5. November 1939 vergaß „der Führer“ nach einem Wutanfall, den Angriffsbefehl zu bestätigen.

Die beiden Schwestern haben also in dieser Zeit - durch Auskünfte aus der Verwandtschaft, also entweder mittelbar über Hans Ludendorff oder direkt von Artur von Casimir - Anhaltspunkte dafür bekommen, daß der Krieg länger dauern wird als damals allgemein in Deutschland angenommen wurde, weil sehr bald von deutscher Seite aus im Westen angegriffen werden sollte. So jedenfalls würden die Worte Sinn ergeben:

Frau B. erzählte von mehreren Fällen, die wie Casimir "Bomben zur Front fahren". Viele wissen Bescheid aber sehr viele haben keine Ahnung. Nun muß man einfach durch den endlosen Tunnel wandern. (...) Möchte es nur nicht zum ernsten Krieg kommen, hier wünscht man es noch intensiver.

Gerade Köln war ja in einem zu erwartenden Krieg besonders gefährdet. Es darf also gemutmaßt werden, daß Hans Ludendorff oder sein Schwiegersohn Artur von Casimir oder dessen Ehefrau Margarethe in persönlichen Gesprächen, per Telefon oder per Brief sich über diese Angriffsvorbereitungen mit Mathilde Ludendorff ausgetauscht hatten.

1941 - Ludendorff stirbt

In seiner „Gedächtnisrede auf Hans Ludendorff“, abgedruckt in den „Jahrbüchern der Preußischen Akademie der Wissenschaft“ führte sein Kollege, der Berliner Astronom August Kopff (1882-1960) (Spektr) aus:

Vor wenigen Tagen erst, am 26. Juni 1941, ist Friedrich Wilhelm Hans Ludendorff unerwartet nach schwerer Krankheit gestorben. Die Akademie gedenkt heute seiner in aufrichtiger Trauer. Sie verliert in ihm einen Forscher, der in unermüdlicher, sorgfältiger Arbeit neue astronomische Beobachtungstatsachen von hohem Wert zusammentrug, und der immer wieder bemüht war, diese Tatsachen zu einem Ganzen zu ordnen.
Hans Ludendorff ist am 26. Mai 1873 bei Köslin (Pommern) als Sohn eines Gutsbesitzers geboren. Er studierte in Berlin ...

Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch war die Spruchkammer mit Hans Ludendorff befaßt. 

1950 - Politisch „unbelastet“

Am 22. Juni 1950 wurde seine verwitwete Ehefrau, die Hausfrau Käthe Ludendorff, geb. Schallehn (geb. 1881), von der Spruchkammer in Urach als „unbelastet“ eingestuft mit der Begründung:

Käthe Ludendorff (...) hat lediglich der NSV und dem Reichkolonialbund angehört und ist somit politisch unbelastet. Ihr im Jahre 1941 verstorbener Ehemann Prof. Dr. Hans Ludendorff, war Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam. Er hat der NSDAP nicht angehört, sondern war nur einfaches Mitglied der NSV und des RLB. Da Tatsachen, die eine politische Belastung begründen können, nicht bekannt geworden sind, fällt der Verstorbene nicht unter die Gruppe der Hauptschuldigen oder die der Belasteten. Gegen die Gewährung der gesetzlichen Versorgungsbezüge an seine Witwe bestehen somit keine politischen Bedenken.

Vermutlich ist sie um des Familiennamens Ludendorff willen vor die Spruchkammer zitiert worden.

Es sei also zusammen gefaßt:

Der Astronom Hans Ludendorff stand zwei Jahrzehnte lang in wechselhaftem, kollegialen Verhältnis zu Albert Einstein und förderte noch mindestens bis 1934 die empirische Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie. Eine Forschungsreise nach Mexiko im Jahr 1923, die er als Vertreter von Albert Einstein auf Einladung und auf Kosten der mexikanischen Regierung unternahm, regte sein weiteres lebenslanges wissenschaftliches Interesse für die astronomischen Kenntnisse der Maya an.


  / Ergänzung zu
Artur von Casimir: 19.4.2019;
Ergänzung anhand 
Literaturangabe 24: 10.5.2019
leicht überarbeitet: 23.7.22 /

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Literaturangaben im Text

1http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Ludendorff
2o.N. (wohl M. Ludendorff): Eine würdige Ludendorff-Feier am 21. 5. 1939. In: Am Heiligen Quell Deutscher Kraft, Folge 6, 16.6.1939, S. 231-234 [mit Fotografie von Hans Ludendorff]
3siehe seine diesbezügliche Schilderung in „Der Teil und das Ganze“
4Tobies, Renate: Albert Einstein und Felix Klein. In: Naturwissenschaftliche Rundschau, 47 Jg., Heft 9/1994, S. 345-352
5http://de.wikipedia.org/wiki/Tests_der_allgemeinen_Relativit%C3%A4tstheorie
6http://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Freundlich
7Ludendorff, Hans: Bemerkungen über die Radialgeschwindigkeiten der Helium-Sterne. In: Astronomische Nachrichten, Band 202, Heft 5, 1915, S. 75–84, DOI: 10.1002/asna.19152020503 [= Replik auf Erwin Freundlich, 1915, s.a. Seeliger, 1916]
8http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeine_Relativit%C3%A4tstheorie
9http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Schwarzschild
10The collected papers of Albert Einstein. The Berlin years. Correspondence, January-December 1921, Princeton University Press, 2009 (720 S.), S. 148
  1. 11Plaut, Paul: Die Psychologie der produktiven Persönlichkeit. Enke, Stuttgart 1929 [zu H. Ludendorff S. 285f, zit. n. Hentschel, S. 136f]
12Albert Einstein, Erwin Freundlich, Erich Mendelsohn: Der Einsteinturm in Potsdam - Architektur und Astrophysik. Ars-Nicolai-Gmbh, 1995 (159 S.), S. 92
13Giorgio de Santillana, Hertha von Dechend: Hamlet's Mill. An Essay investigating the Origins of human Knowledge and its transmision through Myth. David R. Godine Publisher, Jaffrey, New Hampshire (4. Aufl.) 1998, S. 61, 67 (OA. 1969, weitere Ausgabe 1977)
14http://www.deutsche-biographie.de/sfz68661.html
15 Becker, Wilhelm Martin, "Ludendorff, Hans" in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 292 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/gnd117280208.html#ndbcontent


Literaturverzeichnis (chronologisch)

  1. Eisinger, Josef: Einstein on the Road. Prometheus Books, Amherst, New York 2011 [Die Reisetagebücher Einsteins]
  2. Schröder, Wilfried; Treder, Hans-Jürgen: Einstein und die Potsdamer Astronomen. Vorgelegt in der Klasse für Naturwissenschaften am 9. Februar 2006, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät 85(2006), 81-90, http://leibnizsozietaet.de/wp-content/uploads/2012/11/05_schroedereinst.pdf
  3. Grundmann, Siegfried: Einsteins Akte. Einsteins Jahre in Deutschland aus der Sicht der deutschen Politik. Springer Verlag, Berlin u.a. 1998 (Google Bücher), 2004 erneut mit dem Untertitel „Wissenschaft und Politik - Einsteins Berliner Zeit“, ebenso engl. Ausgabe 2004
  4. Hermann, Armin: Einstein – Der Weltweise und sein Jahrhundert. Eine Biographie. Piper-Verlag, München 1994
  5. Tobies, Renate: Albert Einstein und Felix Klein. In: Naturwissenschaftliche Rundschau, 47 Jg., Heft 9/1994, S. 345-352
  6. Hentschel, Klaus: Der Einstein-Turm. Erwin F. Freundlich und die Relativitätstheorie – Ansätze zu einer „dichten Beschreibung“ von institutionellen, biographischen und theoriegeschichtlichen Aspekten. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg u.a. 1992 (190 S.); engl. Ausgabe: The Einstein Tower. An Intertexture of Dynamic Construction, Relativity. Stanford University Press, Stanford, California 1997 (s. Google Bücher)
  7. Schwarzschild, Karl: Gesammelte Werke. Hrsg. von Hans-Heinrich Voigt. Springer Verlag, Berlin u.a., Bd. 1 bis 3. 1992
  8. Artikel über Hans Ludendorff und die Astronomie der Maya. In: Das Altertum, Bände 28-29, Akademie-Verlag, Berlin 1982, S. 244-246
  9. Albert Einstein in Berlin 1913 - 1933. Darstellung und Dokumente, Bd. 1 und 2. Akademie der Wissenschaften der DDR, Akademie-Verlag, Berlin 1979 (Google Bücher)
  10. Spruchkammerakten des Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Sigmaringen, Bestellsignatur: Wü 13 T 2 Nr. 2660/049, http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=6-450240 [8.4.2015]
  11. Ludendorff, Mathilde (Dr. med. v. Kemnitz): Der Siegeszug der Physik. Ein Triumph der Gotterkenntnis meiner Werke. Ludendorffs Verlag GmbH, München 1941 (263 S.) („7. und 8. Heft der 2. Schriftenreihe“)
  12. Ludendorff, Hans: Zur Frühgeschichte der Astronomie in Berlin. W. de Gruyter, Berlin 1942 (23 S.) (GB)
  13. Strömgren, Elis: Hans Ludendorff. In: Die Naturwissenschaften. 30. Jg., Heft 4, 23.1.1942, S. 5F
  14. Ludendorff, Mathilde: Ein Blick in die Werkstatt der Naturwissenschaft unserer Tage. Ludendorffs Verlag GmbH, München 1941 (73 S.) (Laufender Schriftenbezug 11, Heft 4)
  15. o.N. (wohl M. Ludendorff?): Eine würdige Ludendorff-Feier am 21. 5. 1939. In: Am Heiligen Quell Deutscher Kraft, Folge 6, 16.6.1939, S. 231-234 [mit Fotografie von Hans Ludendorff]
  16. Ludendorff, Hans: Zur astronomischen Deutung der Maya-Inschriften. Verlag der Akademie der Wissenschaften in Kommission bei W. de Gruyter, Berlin 1936 (26 S.) [Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Physikalisch-Mathematische Klasse, Preußische Akademie der Wissenschaften Physikalisch-Mathematische Klasse]
  17. Ludendorff, Hans: Über die Ablenkung des Lichtes im Schwerefelde der Sonne. In: Astronomische Nachrichten, Volume 244, Issue 16, 1931, S. 321-330, DOI: 10.1002/asna.19312441602
  18. Bauschinger, J., H.; Ludendorff, R.; Schorr (u. a.): Astronomie und Astrophysik. Karl Siegismund Verlag / Verlag der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, Berlin 1930 [Deutsche Forschung. Aus der Arbeit der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft). Heft 12] (84 S.)
  19. Gustav Eberhard, Walter Grotrian, Arnold Kohlschütter, Hans Ludendorff: Handbuch der Astrophysik. Grundlagen der Astrophysik. Bände 1-3 Springer, 1929, 1930 (358 S.)
  20. Plaut, Paul: Die Psychologie der produktiven Persönlichkeit. Enke, Stuttgart 1929 [zu H. Ludendorff S. 285f, zit. n. Hentschel, S. 136ff]
  21. Ludendorff, Hans: Bemerkungen über die Radialgeschwindigkeiten der Helium-Sterne. In: Astronomische Nachrichten, Band 202, Heft 5, 1915, S. 75–84, DOI: 10.1002/asna.19152020503 [= Replik auf Erwin Freundlich, 1915, s.a. Seeliger, 1916] 
  22. Ludendorff, Hans: Die Jupiter-Störungen der kleinen Planeten vom Hecuba-Typus. Inaugural-Dissertation. Berlin 1897
  23. Hans-Joachim Ludendorff (6. Juli 1908-26.August 2006), https://www.geni.com/people/Hans-Joachim-Ludendorff/3150804   (das Profil wurde 2007 angelegt von seiner Tochter Karin Heuser und deren Sohn Christian Kurt Joachim Heuser)  
  24. Andrew Robinson: The eclipse that made Einstein famous. Rezension von "Einstein's War" by Matthew Stanley Dutton, 2019. 400 pp. und "No Shadow of a Doubt" by Daniel Kennefick Princeton University Press, 2019. 413 pp.  In: Science  Magazine, 10 May 2019: Vol. 364, Issue 6440, pp. 537 DOI: 10.1126/science.aax1447, https://science.sciencemag.org/content/364/6440/537?
  25. Schoenberg, Erich: Hans Ludendorff [Nekrolog]. München 1948. in: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 1944-48. S.236-239. Z 3761-1944-48 
  26. Kopff, August: Gedächtnisrede auf Hans Ludendorff. In: Jahrbuch der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1942, S. 225
  27. Ludendorff, Hans: Karl Schwarzschild. Deutsche Mechaniker-Zeitung, Heft 12, 15. Juni 1916, S. 107-108
  28. Tschesch, Kristina: Karl Schwarzschild - Potsdam - Wissenschaft für die Zukunft, https://youtu.be/Emgz2lvBAf4.
  29. Dieter B. Herrmann: Atlas astronomischer Traumorte. Entdeckungsreisen auf den Spuren der Sternkunde. Kosmos 2019 (GB)